
Seit Menschegedenken versuchen wir, unser eigenes Verhalten und das der anderen zu verstehen. Verschiedene Typenlehren wurden entwickelt, um den unterschiedlichen Antriebskräften menschlichen Handelns auf den Grund zu gehen. Mit einigen davon habe ich mich ausführlich befasst. Sie finden hier meinen Artikel „Im Anderssein sind alle gleich“ in meiner Zeitschrift Weißheiten: vom Ich zum Selbst.
Das Enneagramm gliedert Verhaltensmuster und Charaktereigenschaften in neun Typenmuster mit jeweils ein bis zwei möglichen Überschneidungen zu benachbarten Typen (Flügel) und je drei Unterarten (Subtypen). Diese Gliederung ermöglicht einen einfachen Einstieg in diese Typologie. Beim vertieften Studium ist das Enneagramm facettenreich genug, um die bunte Palette des Menschseins in ihren Grundzügen angemessen abzubilden.
In keiner anderen Deutungskunde für menschliches Verhalten habe ich ein verlässliches Dreieck zwischen einem Ausgangspunkt und zwei Entwicklungsrichtungen bei Anspannung oder Entspannung gefunden. Jedes der 9 Persönlichkeitsmuster verändert sich in einer vorhersehbaren Weise, wenn es dem Menschen besonders gut (Trostpunkt) oder besonders schlecht (Stresspunkt) geht. Hieraus lassen sich wiederkehrende Probleme einerseits und mögliche Lösungen andererseits erkennen.
Ich liebe die Arbeit mit dem Enneagramm, weil sie uns dem Wesentlichen näherbringt. Unterschiede im Erleben werden begreifbar. Missverständnisse können aufgeklärt werden. Auseinandersetzungen – innere und äußere – finden sinnige Erklärungen und damit auch die Chance auf ein gutes Ende.
Das Enneagramm lässt sich hervorragend mit anderen Verfahren verbinden. Man kann Typenmuster zum Beispiel aufstellen oder Trost- und Stresspunkte in Kreativitätstechniken einfließen lassen, z.B. in eine Übung mit den „Denkstühlen“.
Mein eigener Enneagramm-Weg hat mit einer Fehldiagnose durch einen sehr erfahrenen Enneagramm-Lehrer begonnen. Er hielt mich für eine lebenslustige und oberflächliche SIEBEN, weil ich eine außergewöhnlich rasche Auffassungsgabe besitze („So schnell wie Sie ist nur eine SIEBEN“). Er hat sich geirrt. Trotz innerer Widerstände habe ich versucht, mich mit dieser Einsortierung abzufinden und mich in die Rolle zu fügen. Natürlich ohne Erfolg 🙂
Für mich war diese Erfahrung wichtig, um mich nicht aufgrund spontaner Eindrücke festzulegen. Eine Fehldiagnose hat Auswirkungen auf den so eingeordneten Menschen. Je anpassungsbereiter er ist und je weniger gut er sich selbst kennt, desto fataler wirkt der Irrtum.
Gleichsam wäre es töricht, den ersten Eindruck unbeachtet beiseite zu schieben. Man muss die Schublade nur einen Spalt weit aufstehen lassen, in die man einen Menschen steckt. Das gilt nicht nur für die Arbeit mit dem Enneagramm, sondern ist allgemein hilfreich.